Manchmal denke ich an Mauricio Sotelo. Ich sollte dies viel öfters tun, denke ich danach. Sotelo ist ein Mann, ein Komponist, der mir Pfade im heutigen Schreiben aufzeigte, deren Faden ich immer erst später aufnahm. 1998 in Donaueschingen erlebte ich sein Klavierkonzert „Al fuego, el mar“. Als frischer Kompositionsstudent in Frankfurt machte ich mit meinen Kompositions-Kommilotonen jene Exkursion. Man diskutierte über Vieles der damaligen Musiktage, nur um Sotelos und Christian Wolfes Stücke windete man sich herum. „Al fuego, el mar“ fiel wohl – mir sehr positiv – aus dem ewigen Neuen-Musik-Duktus der anderen Werke heraus. Es wurde als „impressionistisch“, ein böses deutsches Komponistenschimpfwort, bezeichnet. Es impressionierte, spielte offen mit Energetik, als hätte der Komponist an den Wurzeln reiner Musikalität genippt. Ich studierte in Frankfurt brav weiter, nuckelte am Busen hehrer Kompositionstechniken, trunken vergass ich im Theoriedelirium meine musikalischen Wurzeln.
Ein Jahr später meldete sich die Münchener Biennale bei mir: man brauche Hilfe bei der Fertigstellung der Partitur von Sotelos „De Amore“. Man bestellte mich auf das Abbruchgelände der Alten Messe. Nach Überwindung einiger Abrissbirnen, endlich im „Congresszentrum“, eine wahrliche Nierentischhalle im Stile der Fünfziger Jahre. Drohte mir hier purer Serialismus? Ein wenig wohl schon, was sich da an Tabellen und Abläufen zeigte, die zusammenzusetzen waren, eine theoretische Multibrust, avanciert, wie es einem Nono-Erben zukommt. Bald zeigte sich aber ungewohnte Offenheit: über dieser instrumentalen Strenge, der trotz Listen was organisches anhaftete, zeigte sich sängerische Spontaneität. Vormittags Notennahrung, Kompilierung der instrumentalen Schicht, nachmittags Musik und Gesang: Die Sängern der Hauptpartie zeigte vor dem Mittagessen ihre Stimmkünste, Sotelo formte daraus und dem Text eine Kantilene, derweil das Team speiste. Dies wurde sofort einstudiert, abends szenisch ausgebaut. In der zweiten Woche kam dann die Überraschung der jungen, flotten Flamencosängerinnen hinzu, die ihren traurigen Gesang über und zwischen die komplexen Strukturen pflanzten – plötzlich blühte eine unerhörte Welt von Volksmusik und Neuer Musik auf.
Nach dem Projekt war mir klar, dass strukturelle Solitäre zwar wichtig und gerne auch adornitisch richtig sind. Dennoch braucht es Leben, Musikalität. Diesen Schatz konnte ich heben, als ich endlich die Zither nach 2000 kennenlernte, man las es bereits letztes Jahr im Blog. Strukturkomposition und Musikspontaneität gingen hier für mich Hand in Hand. Lustigerweise führte dann die volksmusikfreie Auseinandersetzung mit der Zither zu einer Herbheit, wie ich sie mit bestem Theoriewissen nie hätte zustande bringen können. Und dies fesselt mich nun heute, am Eröffnungstag der Klangspuren an meinen Schreibtisch, muss ein Zitherwettbewerbsstück fix fertig werden, nicht zu herb, wie man mir sagte. So denke ich andauernd an Sotelo, hätte dies wirklich öfters tun sollen, wie brillante Technik und Musikalität zusammengehen können. Natürlich gibt es immer die Gefahr, das das Musikantische dominiert, das Stück ins Kippen gerät, so dass wieder ein Gestrenger „Impressionistengefahr“ ruft! Aber lieber diese Gefahr, als struktureller Pixeldschungel, dessen Bäume man vor lauter Waldung nicht sieht noch hört. So möge Euch in Schwaz heute „Waldung, sie rückt heran“ sein: faustische Strenge mit Verve des Flamencos…
Alexander Strauch