München im Juli, freitags. Mal wieder im Herkulessaal. Neu komponierte Musik für grosses Orchester. Grosse Gespanntheit. Eine Dirigentin gab ihren Einstand beim BR-Sinfonieorchester: Susanna Mälkki, eine Finnin Anfang 40.
Weltweit schon bekannt. Kein Wunder,dass sie die drei Werke der Komponisten um die 70 mit Bravour bändigte. Offiziell sind Alle auf den Abschied des langjährigen künstlerischen Leiters der musica viva eingestellt. Udo Zimmermann geht nach gut 15 Jahren in den Ruhestand. Bekannt wurde der Dresdner durch seine Oper „Die weisse Rose“, brachte es zum Intendanten der Leipziger Oper und des Festspielhauses Hellerau-Dresden.
Absolute Spitzenklasse bot Lachenmanns „Schreiben“, das grosse, alte Avantgarde atmete. Von deren Längen aber meilenweit entfernt, so sehr klanglich-intellektuell Schreiben an sich im Orchester nachgezeichnet wurde. Als Synthese von prächtigen atonalen Harmonien und satten wie kargen Instrumentengeräuschen wirkte es in der Zeitgestaltung perfekt wie Richard Strauss‘ Alpensinfonie, die der gestrenge Lachenmann gar nicht so verteufelte wie andere romantische Orchesterschlachtrösser.
Pfeifen im Walde war das Motto der beiden Lachenmann umschliessenden Uraufführungen. Hans Zenders fünfsätzige Kantate auf „Oh Bosques – Oh Wälder“ von Juan de la Cruz rang nach einer heutigen Übertragung der mystischenLiebeserklärungen an Christus des spanischen, frühneuzeitlichen Mönches. Mit seinem 72-Tonsystem schraubte sich Zender mit dezent-kargen Orchesterklängen in diese Esoterik mit gehörigen Abstand hinein und schuf doch bewegende Momente mit der Sopranistin Angelika Luz und dem BR-Chor, mal in Spiegelkanons, mal in Hallräumen zarter chorischer Untertöne auf schmerzend hohe Obertöne der Instrumente.
Udo Zimmermann wollte sich von noch älterer, bereits textbasierter Musik des spätmittelalterlichen Komponisten Guillaume Dufay zu seinem „Wie kannst Du ohne Hoffnung sein“ inspirieren lassen. Nach einigen launigen Abschiedsworten des Hörfunkdirektors für den scheidenden musica-viva-Leiter Zimmermann wirkte seine abschliessende Uraufführung wie ein Schweigen im Walde, die blasse Kapitulation eines gealterten Avantgardisten vor der Grösse längst vergangener Musikepochen. Er liess seine alte Vorlage zuerst vom Männerquintett Ensemble amarcord pfeifen, als einzige neue Dreingabe ein paar dräuende Paukenwirbel. Einigermassen originell setzte das Orchester die Pfiffe in all seinen Registern fort, um dann leider in einem einzigen Akkord hängenzubleiben, der Maria Husmanns weltschmerzende Christoph Hein-Rezitationen garnierte. Es endete wie es angefangen hatte: Dufay-Gepfeife und Paukenrollen.
Man war erstaunt, wie depressiv sich der langjährige Macher von München verabschiedete, wie er sein Wirken als Importeur wichtiger Werke Neuer Musik mit deren Infragestellung resümierte. Er galt als Garant guter Besucherzahlen. So gab er mutig jungen Berufsanfängern das Forum des BMW-Kompositionswettbewerbs. Das erdrückende Gros der aufgeführten Namen bewies jedoch Qualität längst vor dem Münchendebüt in Berlin, Frankfurt und Stuttgart, so dass der hiesige Auftritt kaum ein Risiko beim zugleich angewandten Hochglanzmarketing und den im Vergleich zu den Hochzeiten der Reihe in den 60er- und 70er-Jahren erheblich reduzierten saisonalen Konzertterminen darstellte. Bezeichnenderweise wird der Nachfolger Winrich Hopp die Anzahl der Uraufführungen drastisch absenken und noch stärker auf bereits wieder anderswo längst durchgesetzte, ältere Neue Musik setzen.
Alexander Strauch