Dies ist die Geschichte zweier iranischer Frauen des 21. Jahrhunderts: wie 2009 während der sogenannten unterdrückten „Grünen Revolution“ Neda Agha-Soltan ihr Leben im öffentlichen Raum verlor und zur Märtyrerin wurde, wie Neda Soltani ihr Gesicht im Internet abhanden kam und ihre Existenz in der Heimat einbüsste.
Einleitung
Dreh- und Angelpunkt ist ein Passfoto der lebenden Neda Soltani, welches im Überschlag der damaligen Ereignisse via Facebook weltweit irrtümlich zum Konterfei der Märtyrerin wurde und zum Symbol, zum optischen Ruf, zur stummen Stimme der gescheiterten Protestbewegung gegen das Regime wurde, obwohl die Familie der Toten wenige Tage später ein richtiges Bild veröffentlichte. Fatalerweise gleichen sich die zwei Fotos im schnellen Internet-Klick-Blick, für eine Richtigstellung war es zu spät war.
Als Komponist bin ich schon immer daran interessiert, nichtmusikalisches Material im wahrsten Sinne des Wortes zu vertonen, reizt es mich, aus dieser Bildähnlichkeit der beiden Iranerinnen Klang zu gewinnen. Bisher versuchte ich z.B. förmlich buchstäblich aus den einzelnen Lettern Töne zu gewinnen wie in „MenschenSchneiden“ für Computerchor und Instrumente oder setzte wie in der Boxoper „Joe&Max“ Text zu Audiobildern um, aus denen ich mit einem „Midistift“ auf zeichnerischer Ebene wieder komplexe Klänge gewann (mit der Opensource-Applikation „scoreextractor“). Zuletzt arbeitete ich an einer „Weltbox“, welche jede Art von Audiosignalen mit dem gemeinfreien MaxMsp-Äquivalent „PureData“ durch ein spezifisches Differenztonharmonik- und Rhythmussetting in Frequenzen als Klang und Melodie verwandelt.
So begann ich die ähnlichen Fotos der beiden Nedas, welche ich im Internet fand, über ihre Farbwerte in Klang zu verwandeln. Und höre da, sie sehen nicht nur ähnlich aus, in Musik klingen beide Bildaufnahmen fast gleich. In „NEDA – Die Stimme/Der Ruf“ – nichts anderes bedeutet persisch „Neda“ im Deutschen – wird die umwälzende Chance wie existenzbedrohliche Gefährlichkeit der freiwilligen Datenpreisgabe in sozialen Netzwerken wie eben „Facebook“ mit den Mitteln der Musikelektronik performativ anhand der Kreuzung der Lebenswege von Neda und Neda untersucht.
Bereits nach dem Sturz des Schahs kam ich mit Kindern geflohener Iraner in der Grundschule in Kontakt. So bewegen mich als Fremden immer wieder die Ereignisse in Persien, für Musik und Literatur immer wieder eine Nahtstelle zwischen Ost und West. Besonders das poetische Werk des Hafis und dessen Übersetzungen ins Deutsche weckten das Interesse bereits der Klassiker, wie z.B. Goethe im „west-östlichen Diwan“. Ich komponierte angesichts der Exekutionsanstiegs junger Homosexueller in 2005 den bisher unaufgeführten ersten Teil meiner „Persischen Trilogie“ als Kantate nach einer Ghasele Hafis‘ in der Übertragung von Friedrich Rückert. Mit dem zweiten Teil möchte ich den beiden Nedas ein Denkmal setzen. Der dritte Teil nach Motiven der antiken Begegnung griechischer und persischer Kultur ist hoffentlich besseren Zeiten im Iran vorbehalten.
Die Ambivalenz sozialer Netzwerke
Seit Einführung des Internets sind „Soziale Netzwerke“ innerhalb der ersten zehn Jahre des 21. Jahrhunderts die Austauschorte menschlicher Kommunikation rund um den Globus geworden. Die „Datenautobahn“ der neunziger Jahre führte direkt in das „global village“. Trotz des Platzens der Dotcomblase im März des Jahres 2000 und immer wieder auftauchenden Problemen mit dem Umgang von im Netz preisgegebenen Daten scheinen viele Menschen grundsätzlich dem Internet gegenüber positiv in ihrer Kommunikationsfreude eingestellt zu sein. Seit „myspace“ ist zur Zeit „Facebook“ seit seiner Gründung 2004 das meist genutzte soziale Netzwerk. Zwar wird die darin von jedem Nutzer nach vorgegebenen Mustern individuell vorgenommene Datenpreisgabe unterschiedlich bewertet und die seitens Facebook vorgenommene Weiterverwertung dieser Informationen an Dritte scharf kritisiert. Wenn der Staat von uns Daten abspeichern möchte, biometrische Bilder verlangt oder unsere digitalen Bewegungen verfolgen will, berufen wir uns auf das Grundrecht der „informatiellen Selbstbestimmung“, erstreiten gerichtlich kleine oder grosse Erfolge gegen ihn. Gegenüber Facebook gibt es immer wieder Boykottaufrufe. Im Gegensatz zum Staat wird dieses von uns nur unerheblich juristisch belangt. Die meisten Menschen bleiben dem Netzwerk unkritisch treu. Andererseits werden viele kritisch zu bewertende Neuerungen von Facebook schnellstmöglich durch die Nutzer-Community aufgespürt und Mittel dagegen innerhalb der Netzwerkeinstellungen im Zuge von Mundpropaganda von User zu User weitergegeben. Die aktive Ausübung der informationellen Selbstbestimmung funktioniert hier als starkes Selbstregulativ.
Der Alltag der Kommunikation ist nicht anders als die eines Marktplatzes, einer Kantine oder eines Vereins. Höflichkeiten und Befindlichkeiten werden gewechselt, Angaben zu selbst banalsten Verrichtungen werden gepostet, Familienfotos um die halbe Welt ausgetauscht, Sexabenteuer verabredet oder direkt vor Webcams nur virtuell verbunden vorgenommen, das neueste niedliche Katzenvideo auf Youtube wird verbreitet. Es gibt auch Nützlicheres: Lehrer weisen auf Stundenplanwechsel hin, Musiker laden zu Konzerten ein, besonders unter Künstlern werden via Facebook Kontakte gepflegt und Projekte geplant. So spart man sich lange Telefonate, teure SMSen und Emailverteiler. Für Viele einsehbare und doch wenige betreffende Informationen werden verbreitet wie am Schwarzen Brett eines Discounters, die momentane Schnelligkeit und Offenheit dieses Datenflusses scheint unübertrefflich zu sein. Diese Offenheit hat allerdings auch eine Kehrseite der Medaille. Personen werden blossgestellt, falsche Informationen werden verbreitet, selbst beim Suizid wird online zugeschaut. Allerdings ist das im Medienzeitalter auch nichts Neues, kennt man dies schon lange vom guten, alten Fernsehen. Nur geschieht es im sozialen Netzwerk nicht mehr durch öffentliche oder private TV-Stationen. Dies ist nun jedem Nutzer in einem gewissen Maße möglich, wenn er die „Netiquette“ massiv verletzt.
Die beiden Nedas
Neben dem alltäglichen Gebrauch von „Facebook“ in all seinen Facetten hat sich dieses soziale Netzwerk in Verbindung mit Twitter zum globalen Hauptinformationsmittel im Zuge der Umwälzungen im Nahen Osten bewährt. Es spielte soeben im Winter 2011 eine herausragende Rolle bei der Verabredung zu Demonstrationen und internationalen Verbreitung von Menschenrechtsverletzungen während der Revolutionen in Tunesien und Ägypten. Zuvor spielte „Facebook“ während der sogenannten „Grünen Revolution“ im Juni 2009 eine ähnliche herausragende Rolle. Einerseits wurde „Facebook“ vor den Demonstrationen 2009 genauso alltäglich mit seinen beiden Kehrseiten benutzt wie in der sonstwo auf der Welt. Andererseits gewann dieser virtuelle Raum mit seinen Nischen und Lücken gegenüber dem weitestgehend durch das iranische Regime repressiv kontrollierten öffentlichen Raum eine ungeahnte Sprengkraft zur Organisation der Proteste. Währenddessen kam es um den 20. Juni 2009 zu einer traurigen Verknüpfung der alltäglichen Schattenseiten wie seiner politischen Mächtigkeit im Falle der Frauen Neda Agha-Soltan und Neda Soltani.
Neda Agha-Soltan wurde wohl durch ein Mitglied der Basidschi-Milizen als Unbeteiligte während einer Demonstration in Teheran erschossen. Die Szenen danach sind z.T. auf einem kurzen Video dokumentiert. Es ist zu sehen, wie sie in den Armen ihrer Angehörigen stirbt, ihre letzten Worte werden mit „ich verbrenne“ überliefert. Von der Sterbenden kursierte blitzschnell ein Video auf Youtube durch Facebook verknüpft um die ganze Welt. Sie wurde sofort zur Märtyrerin der damaligen Proteste.Somit zeigten die sozialen Netzwerke ihre starke Seite. Beunruhigt durch die Meldungen über den Tod von Neda Agha-Soltan schrieb eine amerikanische Journalistin auf Facebook alle Frauen an, deren Namen dem Neda Agha-Soltans ähnelte. So nahm sie auch Kontakt mit Neda Soltani auf. Erstaunlicherweise war diese lebendige Neda Dozentin an derselben Hochschule, an der die verstorbene Neda zeitgleich studierte. Die Journalistin wurde durch die Lebenszeichen von Neda Soltani beruhigt. Sie fügte sie als Freundin ihrem Profil hinzu.
Orakelhaftes
Hier begann sich Facebook undurchschaubar, wie ein Orakel für die lebende Neda zu entwickeln. War für sie das Leben als Frau im Iran als hochschulisch ausgebildete Dozentin relativ angepasst, erfolgreich verlaufen, tat sich nun ein Spalt auf. Das bisher genutzte soziale Netzwerk, eigentlich nicht anders als im Alltag der westlichen Welt, einen kleinen privaten Freiraum auf die Welt eröffnende, entwickelt eine nicht mehr bremsbare Eigendynamik, versagt die unmittelbare Freundescommunity als Selbstregulativ, greift sie die lebende Neda sogar an: Die Community glaubt endlich ein Bild der Märtyrerin verfügbar zu haben. Was Neda Soltani zur Rückerlangung ihres Gesichts im Internet versucht, führt sie immer weiter weg von ihrem bisherigen, normalen iranischen Leben. Das gerade noch so offene, kommunikationsfreudige soziale Netzwerk wird zu einem dunklen, nicht mehr einschätzbaren Medium. Es ist so, als ob in der zivilisierten Globalgesellschaft, an der die lebende Neda durch Facebook ihren Anteil hatte, für sie durch ihren Gesichtsverlust das Urgefühl der archaischen Unsicherheit des vorgeschichtlichen Menschen wiederkehrt, sich die Technik nicht mehr kontrollierbar sondern auratisch verhält.
Als Passfoto zeigt es eine Frau, jung einzuschätzen, geschminkt, die Augenbrauen gezupft, mit einem dunklen Kopftuch die Haare umhüllt, der Haaransatz gerade so frei, wie es die strengen Bekleidungsregeln des iranischen Regimes erlauben. Durch überhastete Kommunikation und Nichtkontrolle der Herkunft mutierte das Bild der Lebenden – wie durch eine unvollständige, gerüchtefördernde Flüsterpost geschleust – zum Bild der Märtyrerin. Voice of America und CBS übernahmen sofort dieses Konterfei, es folgten weltweit fast alle relevanten Nachrichtenmedien. Neda Soltani versuchte sofort bei den Sendern durch Emails den Irrtum zu revidieren, drang damit aber zuerst nicht durch. So wurde ihr Bild als das der Toten immer weiterverbreitet. Auf Facebook wurde sie gar von eigenen Landsleuten und Fans der Märtyrerin angefeindet. So löschte sie ihr Facebookbild, was nun erst recht Verschwörungstheorien in Umlauf setzte.
Die Familie der toten Neda veröffentlichte zwar wenige Tage später ein echtes Bild der Getöteten, was die Lage aber nicht aufklärte, da die darauf abgelichtete Frau bei schnellen Hinsehen dem Bild der Lebenden in Schleier, Mimik und Schminke sehr ähnlich sieht. Bald interessierte sich das Regime für diesen Nebenschauplatz der Protestwelle und bedrohte die lebende Neda. Schließlich floh Neda Soltani aus dem Iran und lebt jetzt als Flüchtling in Deutschland. Wenig später gab es Richtigstellungen durch die Urheber der Verwechslung. Dennoch kursiert immer noch das Foto der Lebenden als das der Toten, ist aufgrund der dramatischen Umstände die einmal in Gang gekommene Entwicklung im sozialen Netzwerk durch das Individuum kaum mehr zu kontrollieren, gar umzukehren: Die Lebende verlor ihr Gesicht im virtuellen, die Getötete ihre Existenz im öffentlichen Raume.
Umsetzung
Hier eine erste Skizze! Ausgangspunkt für die musikalische und künstlerische Umsetzung dieser Verwechslung ist nicht nur die optische sondern auch die akustische Ähnlichkeit der beiden Passfotos. Lässt man das opensource Kompositionsprogramm „PureData“ mit seiner Bildfunktion „Gem“ die Farbwerte messen und übersetzt die Ergebnisse durch Obertonmultiplikatoren in Frequenzen, klingen beide Bilder identisch als kalter, dennoch schöner mikrotonaler Sinusklang. Dies ist gleichsam der „akustische Beweis“ für das augenscheinliche Verwechslungspotential der beiden Nedas. Das ist das optische wie akustische Grundmaterial. Mehr als der Gleichklang der Passfotos des verlorenen Lebens und des abhanden gekommenen Gesichts sind für den hiesigen Menschen in dreidimensionaler Vorstellung nicht nachzuvollziehen. So ist zu fragen, wie wir mit dem Grundmaterial umgehen können, wie wir uns auf dem virtuellen Marktplatz, der Online-Gerüchteküche verhalten.
Der Ablauf
Dazu wird von jedem Besucher der Aufführung vor Beginn seitens des Personals ein Foto aufgenommen. Aus dessen Farbwerten wird erstmal ein Klangprofil ähnlich dem der beiden Nedas erstellt. Im Sinne einer „biometrischen Komposition“ werden allerdings auch Daten wie das Geburtsdatum, die Körpergröße, etc. erhoben. Diese dienen als weitere Frequenzmodulatoren für Lautstärkeunterschiede, gewisse Filter, etc. und erzeugen so statt dem nackten Sinusklang der beiden Iranerinnen ein ausdifferenziertes Klangprofil der real anwesenden Person. Nach der Aufführung kann sich jeder Zuschauer sein Klangprofil anhören und mit nach Hause nehmen.
Neben dem Klangprofil sollen die Besucher einen Fragebogen aufüllen. Der erfasst ihre Meinung zur Bedeutung sozialer Medien für sich selbst wie die politische Entwicklung, wie sie die Erhebung der Klangdaten finden, was ihnen zu Iran bzw. Persien einfällt, ob sie Menschen aus diesem Kulturkreis persönlich kennen, ob sie schon einmal bewusst oder unabsichtlich ein Gerücht in die Welt gesetzt haben und dessen Folgen miterlebten, ob sie schon einmal jemand über einen längeren Zeitraum mit einer anderen Person verwechselt haben und ggf. noch einige weitere zu entwickelnde Fragen.
Eine wunderschöne Tradition im Iran ist das orakelhafte Vorhersagen der Zukunft aus den Versen des Hafis. An seinem Grab in Schiraz lassen Frauen die Besucher per Zufall eines seiner Gedichte auswählen, lesen es vor und deuten daraus die Zukunft der auswählenden Person. Im Laufe der Aufführung werden einige dieser Verse den Stationen bzw. Farben zugeordnet zufällig ausgewählt und in der deutschen Rückertübersetzung vorgelesen. Dies geschieht zu Live-Elektronik: das Sprachsignal wird in Tonsignale verwandelt, die zu Klängen nach einem farbkapitelfixen Differenztonharmonik- und Rhythmussetting zu Musik moduliert werden. Vor dem Epilog, wenn weder die Nachrichtenmedien noch die Verehrer der Toten der Lebenden ihr Gesicht belassen wollen, werden Antwortauszüge aus den Fragebögen zufällig ausgewählt und der Orakel-Live-Elektronik vorgelesen.
A: Prolog
Zu Beginn der Aufführung werden die verschieden tönenden Klangprofile und aufgenommenen Fotos der Anwesenden eingespielt, bis die Bilder der beiden Nedas gleichartig erklingen. Es stellt sich die Frage, warum ihnen die Lebendigkeit der Anwesenden fehlt. Die unvollständigen Klänge der beiden Frauen werden durch den Bericht ihrer Lebenswege ergänzt. Nachdem die Farbwerte der Bilder das Grundmaterial sind, geschieht dies in „Farbkapiteln“, die immer wieder durch „Orakel-Intermezzi“ unterbrochen werden.
B: Farbkapitel
1.) Weiß: öffentlicher Platz im Nahen Osten im gleissendem Tageslicht
Das Treiben auf einem Basar bzw. auf einer lebendigen Strasse.
– Hafisorakel 1
2.) Rot I: Der Alltag einer modernen Iranerin
Einschränkungen in der Öffentlichkeit, fast westliches Privatleben mit globalen Kontakten durch soziale Netzwerke.
3.) Grün: Beginn der „Grünen Revolution“ im Sommer 2009
Die manipulierte Wiederwahl Ahmedinedschads, die einsetzenden Proteste gegen Wahlfälschungen, die großen Massendemonstrationen.
– Hafisorakel 2
4.) Rot II: Neda Agha-Soltan verliert ihr Leben auf der Strasse
Sie ist Beifahrerin in einem PKW, Steckenbleiben in der Demonstration, der tödliche Schuss, ihr Sterben.
5.) Blau: Neda Soltani verliert ihr Gesicht auf Facebook
Die Recherche der amerikanischen Journalistin, der Facebookkontakt, das Foto der Lebenden wird zum Bild der Toten, das Löschen des Fotos, das Bild der Toten, nochmals die flüchtige Ähnlichkeit der beiden Bilder.
– Hafisorakel 3
6.) Schwarz: Die Bedrohung
Die Lebende erlangt ihr Gesicht nicht wieder, die Tote darf nicht richtig bestattet werden, Angriffe der Verehrer der Toten gegen die Lebende, Repressalien durch das Regime, Flucht aus dem bisherigen Leben.
– Fragebogenintermezzo
Aus dem Haufen der ausgefüllten Fragebögen wird zufällig ausgewählt, wie zu den Hafisorakeln werden sie zu Live-Elektronik verlesen, deren Klänge sich überschlagen.
C) Epilog: Der Teppich
Die beiden Neda-Bilder werden nach dem akustischen Gleichklang des Prologs jetzt auch optisch zu einem Foto gemorpht. Die einzelnen Bildteile werden durch die vor der Aufführung aufgenommenen Zuschauerfotos ausgepixelt; daraus und aus den Neda-Klängen sowie den individuellen Klangprofilen der Zuseher wird gleichsam ein Bild- wie Klangteppich gewebt.
Versuchsanordnung des Gleichklangs
Im Internet wurde nach den Bildern der beiden Nedas gesucht. Zuerst wurde das Bild der Lebenden Neda Soltani, welches ihr abhanden kam, mit PureData analysiert. Darauf das der Toten, das ihre Familie wenige Tage nach dem Tod veröffentlichte. Als Farbwerte erwiesen sich am brauchbarsten Rot, Grün und Blau. Analog zum Gedanken, dass man hier nur das Todesdatum bzw. den Tag des Bildverlusts kennt, die Besucher der Aufführung aber mit ihren Geburtsdaten erfasst werden sollen, sind hier die ersten Mikrotöne des Obertonspektrums ausgewählt worden, die von der gebräuchlichen Gleichtemperierung abweichen: Die Naturterz als 5. Oberton (weicht nur geringfügig, dennoch hörbar zu tief ab), die Natursept als 7. Oberton (weicht erheblich stärker zu tief ab) und die Naturundezim als 11. Oberton (weicht einen Viertelton zu tief ab). Die Farbwerte weichen mit je 99, 96 bzw. 100 kaum voneinander ab. So kommt es zum Gleichklang der beiden verschleierten, sich in nur wenigen Lebensjahren unterscheidenden, einem einheitlichen Schönheitsideal unterworfenen Nedas. Dass individuelle Fotos als Klang sehr wohl sich voneinander unterscheiden können ist den beiden folgenden Fotos von mir und meinem Vater zu entnehmen, auf denen wir beide in etwa Anfang dreissig gewesen sind. Als Multiplikatoren dienten die Geburtsdaten, was die Unterschiedlichkeit per se noch verstärkt, die Farbwerte schwanken zwischen 94 und ca. 96. Auf der beigefügten CD sind die Klangbeispiele zum Vergleich hörbar.
Die Lebende, 11., 7. und 5. Oberton (die ersten Mikrotöne) als Multiplikator
Die Tote, 11., 7. und 5. Oberton (die ersten Mikrotöne) als Multiplikator
Franz Strauch, mein Vater, sein sechsstelliges Geburtsdatum (29., 07., 30.) als Obertonmultiplikator
Das Live-Elektronik-Orakel
Dieses wird im Grundaufbau der Weltbox nachempfunden sein. Ein live gesprochenes oder gesungenes Audiosignal wird in PureData von einem Midisignal in ein Frequenzsignal mutiert. Dieses wird multipliziert mit einem abgesteckten Randommetrum, das entweder melodische oder harmonische Ereignisrahmen auslöst. Somit entsteht ein Stück, dass einerseits seine innere Vorgaben hat, dennoch von immer unterschiedlichen externen Einflüssen ist, die mal höher, mal tiefer, mal leiser, mal lauter, mal Sprache, mal Musik oder nur der Hauch eines Atems sein können. Zwei Screenshots mit Audiobeispielen der Weltbox sind angefügt. In „Neda“ wird das Setting nun den Farbkapiteln angepasst, so dass trotz unterschiedlicher Hafislesungen aus dem entsprechenden Verskapitelpool eine gewisse Grundaura gewahrt sein soll wie eben z.B. die Atmosphäre eines lebendigen öffentlichen Raumes oder einer Privatheit oder eines Existenzverlusts.
Aufbau der Aufführung
Im Eingangsbereich werden die Zuschauer fotografiert und der Fragebogen erhoben. Im Mittelpunkt der Spielfläche steht eine Projektionswand, davor Positionen für die Darstellerinnen und Musiker, für das Live-Elektronike-Orakel. Die Story selbst wird anhand von Bildern und Filmfragmenten aus dem Internet bildlich realisiert. Dazu singen und sprechen die Darstellerinnen gesungene und gesprochene Texte wie Originalworte der Sterbenden, Zeugenaussagen, veröffentlichter Emailverkehr auf Facebook, Interviewausschnitte sowie live zufällig ausgewählte Fragebögen und Hafis-Gedichte. Weitere Mittel sind Licht und Kostüme für das Personal, das erst die Daten erhebt und später zur Performance macht.
Alexander Strauch